Deutschland, Allein zu Haus

Man konnte es in Berlin beobachten. Als der Economist im Sommer 2013 in einer aufwendigen Titelgeschichte Deutschland als „zögerlichen Hegemon“ bezeichnete, fühlte sich die deutsche Außenpolitik seltsam geschmeichelt. Natürlich wurde in offiziellen Reaktionen die Assoziation zwischen Deutschland und „Hegemon“ als nicht passend zu einer „Kultur der Zurückhaltung“ (Guido Westerwelle) zurückgewiesen. Aber in vielen Hintergrundgesprächen schwang doch so etwas wie ein Bewusstsein neuer Bedeutung mit. Die Wege nach Europa führen über Berlin. Das weiß man inzwischen in den internationalen Hauptstädten, und in der deutschen Hauptstadt verändert die Fremdeinschätzung die Selbsteinschätzung. Allerdings nicht zum Guten.

Das eigene und fremde Schulterklopfen überdeckt dabei wachsende oder sogar neu aufbrechende emotionale Distanzen. Denn Deutschland und seine Außenpolitik geben derzeit nicht nur den europäischen und amerikanischen Partnern Rätsel auf, sondern auch internationalen Akteuren anderswo. Einige wenige große Konstanten der deutschen Nachkriegspolitik waren – bei allen taktischen Abweichungen – immer berechenbar: Westbindung, transatlantische Solidarität, Mitarbeit an der europäischen Integration und später die notwendige Ergänzung der Verankerung im Westen durch eine aufgeklärte Ostpolitik.

Selbst die anfänglich von den USA misstrauisch verfolgte Ostpolitik wurde zur logischen Konsequenz erfolgreicher Westpolitik. Gerade weil die transatlantische Bindung eng war und auf breitem Fundament stand, konnte die Bonner Regierung die Kanäle Richtung Osten verbreitern. Die großen Linien heute – jenseits Euro-Rettung und „Kultur der Zurückhaltung“ – sind jedoch schwer auszumachen. Wer die internationale Lage Deutschlands nüchtern betrachtet, muss sich Sorgen machen. Deutschland droht ein einsames Land zu werden. Wie eine Art Großer Koalition in der Außenpolitik haben die Kanzlerschaften von Gerhard Schröder und Angela Merkel die größte Industrienation Europas in ein internationales Zwischenreich geführt – und das sowohl inhaltlich als auch machtpolitisch. 15 Jahre Regierung von wirklichen Nachkriegskanzlern haben ausgereicht, um Deutschland einer neuen, gefährlichen Drift auszusetzen. Entschuldigend kann man sagen, dass dahinter keine Strategie steckt und wenig innere Überzeugung. Vielmehr sind drei Regierungen seit 1998 unkoordiniert in etwas hineingestolpert und haben teilweise Außenpolitik für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert – und somit bestehende Konstanten verbogen.

Da sind zunächst die Verhaltensmerkmale, die sich geändert haben: Man neigt dazu, bei Konflikten der „westlichen“ Bündnispartner auszuscheren und in deren Konflikten mit Dritten oder überhaupt in Konflikten zwischen Dritten als ausgleichende „Friedensmacht“ zu wirken. Andererseits ist die Herausbildung eines neuen deutschen Selbst- und Sendungsbewusstseins zu beobachten. Moralische Ober- und Untertöne überlagern die Melodie einer pragmatischen Außenpolitik, die bislang Werte und Interessen einigermaßen ausbalancierte. Im Rahmen des routinierten Pragmatismus, den die deutsche Außenpolitik über viele Jahrzehnte auch ausgezeichnet hat, machen sich wachsende Aufgeregtheiten bemerkbar. Man ignoriert Geopolitik, und betont allein die Außen-wirtschaftspolitik. Schließlich folgt nach einer zurückhaltenden Öffnung für den Einsatz des militärischen Instruments seit den neunziger Jahren inzwischen wieder dessen grundsätzliche Infragestellung.

Deutsche Unzuverlässigkeit

Diese Verhaltensauffälligkeiten bedeuten einen Rückschritt. Sie führen in den Hauptstädten der deutschen Partner zum Vorwurf der deutschen Unzuverlässigkeit. Aus diesem Grund wird wohl derzeit ein Buch des Zeithistorikers Hans-Peter Schwarz wieder aktuell, der 1985 unter dem Titel „Die gezähmten Deutschen. Von der Machtbesessenheit zur Machtvergessenheit“ die Extrem-Ausschläge deutscher Außenpolitik seziert hat. Schwarz wies darauf hin, dass sich in der neuzeitlichen Geschichte die Nachbarn nicht nur über deutsche Unfriedlichkeit und Schneidigkeit aufzuhalten pflegten, sondern auch über „harmonisierende Furchtsamkeit“. So widmete die Londoner Times 1860 der preußisch-deutschen Außenpolitik die folgende Charakteristik: „Preußen lehnt sich immer an jemanden an, möchte immer, dass ihm jemand hilft, ohne jemals bereit zu sein, sich selbst zu helfen. Es ist stets bei der Hand, in gründliche Erwägungen einzutreten, nie aber, sich zu entscheiden. Auf Kongressen ist es immer dabei, auf dem Schlachtfeld nie. Es spricht und schreibt immer nur über eine Frage, nimmt aber nie pro oder contra Stellung. Zwar ist es stets bereit, mit jeder Menge von Idealen oder Gefühlen zu Diensten zu sein, scheut aber vor allem zurück, das nach Wirklichkeit und Aktualität riecht. Es hat eine große Armee, aber diese hat den notorischen Ruf, nicht zum Kampf geeignet zu sein. Es produziert eine Unmenge von Zirkularschreiben und Noten, hat aber im Regelfall für beide Seiten etwas zu sagen. Niemand verlässt sich auf seine Freundschaft; niemand droht ihm als Feind. Wie es eine Großmacht wurde, lehrt uns die Geschichte; warum es eine bleibt, vermag niemand zu sagen.“

Inzwischen vernimmt man solche Stimmungen in den Hauptstädten der Partner wieder. Aus Stimmungen können inhaltliche Meinungsverschiedenheiten, aus Meinungsverschiedenheiten machtpolitische und strategische Veränderungen werden. Dabei trägt Deutschland sicherlich nicht die alleinige Schuld für diese Veränderungen. Auch seine Partner fallen in alte Denkmuster, unilaterale Politik oder auch traditionelle Allianzen zurück, beispielsweise in die wiederbelebte britisch-französische „Entente Cordiale“ in der Sicherheitspolitik. Inzwischen werden Trends sichtbar, die Deutschlands außenpolitisches Koordinatensystem verändern. Aus der bisherigen bundesrepublikanischen Tradition einer stetigen Berliner Teilnahme an einem internationalen Konzert droht ein außenpolitisches Solo zu werden.

Zerbrechende Freundschaft mit den USA

Die NSA-Abhöraffäre und der direkte Informationszugriff der amerikanischen Dienste auf das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel sind nicht Ursache, sondern vor allem weiterer Höhepunkt in der nicht nur politischen, sondern auch emotional-kulturellen Entfremdung der Deutschen von den USA. Sicher, gäbe es einen russischen oder chinesischen Snowden, dann wäre der deutschen Öffentlichkeit vielleicht klarer, dass Staaten insbesondere Interessen verfolgen. So aber empfindet eine idealisierende Nation mit einer idealisieren den Außenpolitik enttäuschte Liebe über das offenkundige Misstrauen von Freunden gegen Freunde. Und aus enttäuschter Liebe wird schnell Verbitterung und Abwendung.

Der Honeymoon der deutsch-amerikanischen Beziehungen, als ein euphorisierter George Bush im weltpolitischen Epochenjahr 1989 Helmut Kohl „Partnership in Leadership“ anbot und dies von den Deutschen nicht verstanden und abgelehnt wurde, begann schon mit dem ersten Irak-Krieg zu verblassen. Fiel damals deshalb erst einmal nur der Karneval aus, so veränderte der zweite Irak-Krieg mit der auf einem Marktplatz vollzogenen öffentlichen Distanzierung der damaligen Schröder-Regierung vollends das Meinungsklima. Antiamerikanische Proteste bis in die Kindergärten hinein prägten mit anhaltender Wirkung die Wahrnehmung der amerikanischen Politik in Deutschland. Doch etwas anderes kam in den Folgejahren hinzu. War die Distanzierung von Amerika vor allem ein linkes Phänomen, so wurden auch bürgerlich-konservative Kreise dafür anfällig und rümpfen heute die Nase über eine kapitalistische Gesellschaft ohne Werte und Stil. Auch die deutsche Wirtschaftselite, traditionell eher transatlantisch geprägt, begann (noch verhalten) an den USA zu zweifeln. Es ist bislang wenig beachtet geblieben, welche negativen Folgen die Ermittlungen der amerikanischen Börsenaufsicht (SEC) bei Daimler und Siemens im Bewusstsein deutscher Manager angerichtet haben, die inzwischen heftig über die exterritoriale Anwendung amerikanischen Rechts in Deutschland klagen. Zwischen Deutschland und Amerika hat es mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts einen politisch-kulturellen Bruch gegeben, der inzwischen weite Kreise der deutschen Bevölkerung erfasst hat. Beide Länder sind sich so fremd wie nie, und vor allem die deutsche Politik hat weder die zerbrechende Freundschaft erkannt, noch weiß sie offenbar um die Risiken oder hat den Willen zum Neustart.

Kluft zwischen Paris und Berlin

In der gerne nabelschauenden, großkoalitionären Berliner Republik ist eine Entwicklung übersehen worden, die mehr als  alles andere über den wahren Zustand der deutsch-französischen Beziehungen aussagt. Paris überlegt, aus der deutsch-französischen Brigade auszusteigen. Sparzwang ist zwar das formale Argument, doch französische Kritiker dieser europäischen Armee im Kleinen verweisen darauf, dass die Brigade nach 20 Jahren der Zusammenarbeit noch nie in gemeinsamen Auslandseinsätzen gekämpft hat. Aus Pariser Sicht steht das für die Untauglichkeit des ganzen Unternehmens. Wer sollte es Paris verdenken – als Frankreich Anfang 2013 in Mali intervenierte, bestand der deutsche militärische Beitrag aus der Entsendung zweier klappriger Transall-Transportmaschinen.

Auch in einem anderen Projekt konkreter Zusammenarbeit ist Entfremdung zu beobachten. Als der deutsche Vorstandschef des deutsch-französischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS, Thomas Enders, 2012 eine Fusion mit dem britischen Rüstungsunternehmen BAE-Systems anstrebte, hatte er sehr schnell die Unterstützung von Paris, wo ausgerechnet die staatsgläubige sozialistische Regierung ein Vorhaben mittrug, das den öffentlichen Einfluss verwässert hätte – während Berlin das Projekt zum Schluss stoppte. Noch tiefer gehen die Meinungsverschiedenheiten in der Euro-Rettungspolitik.

Isolierung Deutschlands in der EU

Deutschland ist durch das Krisenmanagement in der Euro-Rettung zum dominanten Staat in Europa geworden. Auch wenn man die Inhalte dieser Politik (Sanierung der öffentlichen Haushalte, Reformen und keine Haftung für Schulden anderer EU-Staaten) für richtig hält – die Kommunikation ist es nicht. Es ist unübersehbar, dass sich gegenüber dem „reluctant hegemon“ eine wachsende Distanz, ja Aversion aufbaut. Viel zu wenig sind vor allem Kanzlerin Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble in einen Dialog mit den Öffentlichkeiten der Krisenländer Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und schließlich auch Frankreich eingetreten, um die Haltung Deutschlands in der Euro-Krise zu erklären und für die deutsche Sichtweise zu werben.

Mit dem Pochen auf Alternativlosigkeit kommt man im Verhältnis zwischen Nationen mit ihrer je eigenen Sicht auf Würde und Souveränität nicht weiter. Man kann mit einer politischen Form von Gleichgültigkeit so vorgehen, muss sich aber nicht wundern, wenn dadurch die zentrifugalen Kräfte um Deutschland herum wachsen. Dies gilt auch und gerade im Umgang mit den kleinen Ländern der EU, die Bundeskanzler Helmut Kohl immer besonders gepflegt hat. Ein Beispiel zeigt das mangelnde Fingerspitzengefühl: Zur Krönung des neuen niederländischen Königs Willem-Alexander am 30. April 2013, der Amtseinführung des Staatsoberhaupts unseres Nachbarn, war Deutschland weder durch Präsident, Bundeskanzlerin oder Außenminister vertreten – sondern hatte als offiziellen Vertreter die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth geschickt. Es fällt schwer, dies als Symbol besonderer Wertschätzung zu lesen – und das ausgerechnet gegenüber einem Land, das zu den wenigen Unterstützern Deutschlands im europäischen Krisenmanagement zählt.

Non-verhältnis mit Russland

Das Verhältnis zu Russland – einst eine wichtige Disziplin in der deutschen Außenpolitik – ist auf gegenseitiges Unverständnis reduziert. Man muss den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht zu einem „lupenreinen“ Demokraten machen, um eine aktive Russland-Politik zu betreiben. Aber zwischen Kaltem-Kriegs-ähnlichem Misstrauen einerseits und einer aus antiwestlichen Ressentiments gespeisten russophilen Haltung andererseits gibt es eine Vielzahl von Zwischenstufen, die der zumindest teilweisen Interessenübereinstimmung zwischen Moskau und Berlin – beispielsweise in der Energiepolitik, dem Kampf gegen den islamischen Extremismus, der wirtschaftlichen Entwicklung, dem Freihandel – entsprechen. Auf der Basis einer pragmatischen Russland-Politik könnte sich wiederum der Dialog bei den Konflikthemen mit Moskau – Syrien, Iran, EU- und NATO-Erweiterung in Ost- und Südosteuropa – erleichtern.

Derzeit wird das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland von Sprachlosigkeit geprägt. Auch hier ist die deutsche Außenpolitik weit entfernt von einem Konzept der konstruktiven Partnerschaft mit der gestutzten Großmacht, die aber weiterhin ein international wichtiger Akteur bleibt und ohne dessen Mitwirkungen sich einige zentrale Krisen der Welt nicht lösen lassen.

China scheint inzwischen der einzige Staat auf der weltpolitischen Bühne zu sein, bei dem der Ansatz eines Konzepts und einer langfristig angelegten außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Strategie Berlins erkennbar ist. Obwohl in China ähnliche rechtsstaatliche und menschenrechtliche Defizite wie in Russland zu beobachten sind, ist hier die deutsche Politik deutlich stärker geneigt, aus politischen und wirtschaftlichen Interessen eine pragmatische Haltung zu verfolgen.

Schwierig nur, dass in Asien bei den Nachbarn Chinas – Korea, Japan, Vietnam, Singapur, den Philippinen – die Sorge über die machtpolitischen Ambitionen Pekings wächst. Hier verfolgt man sehr genau, wer willens ist, zur Wahrung des regionalpolitischen Status quo auch einen begrenzten Konflikt mit Peking zu wagen. Bei der jüngsten Auseinandersetzung um das Südchinesische Meer war jedenfalls in Berlin nur Schweigen zu vernehmen.

Eine Asien-Politik sollte aber mehr umfassen als nur eine enge Partnerschaft mit China. Warum startet Berlin nicht eine Initiative für eine umfassende Partnerschaft mit Japan – mit dem Land, das sich vor ähnlichen gesellschaftlichen (Demografie) und politischen Herausforderungen (Energiepolitik) sieht wie Deutschland? Beide Nationen könnten mit Blick auf wichtige wirtschaftliche und industriepolitische Standards als die immer noch führenden Industriestaaten wichtige Rahmenbedingungen setzen oder zumindest beeinflussen.

Keine Partnerschaftsstrategie mit Kontinenten im Aufbruch

Südamerika, vor allem Brasilien, ist ein neuer, aufstrebender Akteur in der Weltpolitik. Welche Vorstellungen hat die deutsche Außenpolitik für dieses Land? Wie will sie in dieser Region wirken? Wenn man davon ausgeht, dass das 21. Jahrhundert sicherlich kein europäisches mehr sein wird und auch Deutschland aufgrund seines demografisch bedingten Bevölkerungsverlusts ab 2030 spürbar an wirtschaftlicher Wachstumsdynamik verliert, braucht Berlin Partner, mit denen es zusammenarbeiten und wirtschaftlichen Erfolg erzielen kann. China hat im Falle seiner Expansion nach Afrika gezeigt, dass es einen aus deutscher Sicht für verloren gehaltenen Kontinent mit konsequenter Interessenpolitik für seine Strategie zu nutzen weiß.

Unterschiedliche Sicherheitsphilosophien führen Deutschland in die Isolation

Die Kriege im Irak und in Afghanistan haben die Deutschen ernüchtert. Sie haben den Eindruck gewonnen, dass das militärische Instrument falsch eingesetzt wurde – und stellen es deshalb gänzlich in Frage. Es entsteht ein moderner Gleichgültigkeitspazifismus, der ähnlich wie ein latenter Antiamerikanismus linke wie bürgerlich-konservative Kreise des Landes erfasst. Sicherlich fällt die Bilanz der Kriege mit westlicher Beteiligung in den vergangenen Jahrzehnten durchwachsen aus. Der erste Irak-Krieg zur Befreiung des besetzten Kuwaits war ein Erfolg, der zweite Irak-Krieg wird heute als ein „ungerechter“ Krieg wahrgenommen, und Afghanistan gilt nach über zehn Jahren als Fehlschlag mit unnötigen deutschen Opfern.

Die neuen Formen der Kriegführung treffen auf eine überkritische deutsche Öffentlichkeit. Waffensysteme wie Drohnen gelten als verwerflich – als ob es einen moralischen Unterschied mache, einen Al-Kaida-Führer mit einem bemannten Flugzeug anzugreifen und zu töten oder per ferngesteuerter Drohne. Schon bei den neuerlichen Spannungen in der chinesischen Südsee ist zu beobachten, dass andere Länder wie Japan – lange ebenfalls in einer Kultur militärischer Zurückhaltung lebend (die eigenen Streitkräfte wurden verschämt „Selbstverteidigungskräfte“ genannt) – aus nackter Interessenlage dem militärischen Instrument wieder einen deutlich anderen Stellenwert einräumen.

Und selbst wenn man im Falle Syriens eine westliche Militärintervention ablehnt, weil die Lage zu unübersichtlich ist – gegenüber einem Diktator wie Baschar al-Assad darf man die militärische Option nie von vornherein ausschließen, wie es die deutsche Außenpolitik in solchen Konflikten gerne tut. Sogar das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung schrieb in ihrer Ausgabe vom 30.11./1.12.2013 selbstkritisch: „In Berlin trinkt man heute Ingwer-Bionade, wo einst die Grenztruppen der DDR an der Mauer Streife gingen.“ Aber der „Rest der Welt“, so SZ-Autor Hubert Wetzel, „ist immer noch voller Mauern, voller Bedrohungen. Und allein mit dem Strafgesetzbuch ist den Diktatoren, Menschenschindern und Dschihadisten zwischen Mali und Pakistan nicht beizukommen.“

Trends, die entfremden

Jede der aufgezählten Entwicklungen ist für sich genommen noch nicht kritisch. Die Summe der außenpolitischen Trends jedoch entfremdet Deutschland vom Kreis seiner bisherigen Partner und stellt die Stabilität seines Bündnisrahmens in Frage. Gleichzeitig sind neue Allianzen und Bündnisse, die ein auch nur annäherndes Gewicht bei gleichzeitiger relativ hoher Übereinstimmung im Wertefundament haben, nicht in Sicht. China beispielsweise wird immer nur ein funktionaler, aber kein umfassender Partner wie die USA sein können.

Die internationalen Partner Berlins verfolgen Deutschlands Außenpolitik mit gewisser Ratlosigkeit. In höflicher Diskretion wird diese Entwicklung noch nicht zum Thema gemacht. Zu wichtig ist Deutschlands Rolle derzeit bei der Euro-Rettung. Bei einigen Treffen zu zentralen außen- und sicherheitspolitischen Fragen kommen inzwischen die Regierungsvertreter aus den USA, Frankreich und Großbritannien schon mal ohne Deutsche aus. Mit Deutschland macht man Geschäfte – aber keine Politik. So einsam wie heute ist Deutschland schon seit langem nicht mehr gewesen. Mit dieser Einsamkeit kann ein Land sicherlich auch leben, vor allem wenn es sich dabei moralisch gut fühlt. Nun mag es eine Frage der Perspektive sein, ob die Mauern, von denen Hubert Wetzel spricht, die Welt nach wie vor teilen, einhegen oder schützen. Sie müssen aber in jedem Fall bemannt sein. Die Frage ist deshalb, was passiert, wenn eine dieser neuen Mauern angegriffen wird, die auch Deutschland schützen. Deutschlands Außenpolitik entspricht, so schreibt die Süddeutsche Zeitung in dem zitierten Beitrag, phänotypisch „einem netten, mittelalten untersetzten Herrn, der am liebsten seine Ruhe hätte“. Mit so einem Herrn trinkt man gerne auf internationalen Konferenzen ein Glas Wein oder Champagner. Aber auf ihn verlassen möchte man sich nicht. Und wenn er dann mal anruft, um in der Not um Hilfe zu bitten, dann kann es wohl durchaus sein, dass man ihn warten lässt.

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