Ein Comeback für die Gruppe der acht

Ulrich Speck

Ulrich Speck is a foreign policy analyst based in Heidelberg and Brussels. He is currently a Visiting Scholar at Carnegie Europe in Brussels and writes a foreign policy column for a Swiss newspaper, Neue Zürcher Zeitung. Speck worked for a number of German media outlets, was head of the newsroom at Radio Free Europe/Radio Liberty in Prague, and a DAAD fellow at the American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) in Washington, DC in 2006. His articles have been published by the New York Times, the Financial Times, CNN.com, RealClearWorld, Open Democracy, and leading German newspapers and journals. Speck has coedited books on the Revolution of 1848, on American Empire, and on Modern Antisemitism. He holds a PhD in Modern History from the University of Frankfurt/Main. Speck is fluent in German, English, and French. Speck’s research interests are German and EU foreign policy, transatlantic relations, and global order.

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In den letzten Jahren hatte es so ausgesehen, als wären die Tage der Gruppe der acht (G-8) gezählt. 1975 im französischen Schloss Rambouillet von Valery Giscard d’Estaing als informeller Zusammenschluss der führenden Industrieländer zur Beratung von Wirtschaftsfragen ins Leben gerufen, galt die Gruppe der acht zunehmend als Ausdruck einer geopolitischen Ordnung, die anachronistisch geworden war. Zwar war neben den USA, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien und Kanada mit Japan auch ein asiatisches Land dabei, und von 1998 an lud man Russland dazu. Doch seit 2008 die G-20 als Treffen der Staats- und Regierungschefs etabliert wurde – im Wesentlichen eine um «Schwellenländer» wie China, Indien, Südkorea, Südafrika, Brasilien oder Mexiko erweiterte G-8 -, erschien die Konstellation der Gruppe der acht als Relikt einer Zeit, in der der Westen die Welt dominierte. Der G-8 fehlte es an Legitimität und an Effizienz, da sie wesentliche Akteure ausschloss. Mit der G-20 schien man dann ein Format gefunden zu haben, das besser dazu geeignet war, globale Probleme gemeinsam anzugehen. Keine Weltregierung zwar, aber doch ein halbwegs akzeptabler Ersatz.

Seit dem diesjährigen G-8-Treffen im französischen Deauville hat sich der Wind allerdings wieder gedreht. Die alte transatlantische Allianz – der «Westen» – ist sich offenbar bewusst geworden, dass man gemeinsame Interessen hat, die nicht von allen geteilt werden, insbesondere nicht von Autokraten. In Deauville hat die G-8 ein beachtliches Hilfspaket für die arabischen Reformer geschnürt. Weil man sich in der Stossrichtung einig war – Unterstützung demokratischer Reform insbesondere in Ägypten und Tunesien -, konnten sich die Gespräche auf die Frage der Umsetzung konzentrieren. Abgesehen vom russischen Präsidenten Medwedew waren in Deauville eben nur «lupenreine Demokraten» versammelt, anders als bei der G-20, wo China ebenso vertreten ist wie Saudiarabien.

Die europäischen und nordamerikanischen Mächte, die den Kern der G-8 bilden, sind eben nicht nur durch Geschichte und Kultur miteinander verbunden. Bei allem Knirschen im transatlantischen Gebälk gibt es doch ein gemeinsames Grundverständnis: dass internationale Politik kein Nullsummenspiel sein muss, bei dem sich einzelne Staaten auf Kosten anderer kurzfristig bereichern; dass nur breit angelegte Kooperation globale Probleme langfristig lösen kann und damit allen nützt. Und dass ein gutes Leben auf Dauer nur zu erreichen ist, wenn Menschen die Freiheit dazu haben, ihr ökonomisches und politisches Potenzial zu realisieren: «Demokratie ist der beste Weg zu Frieden, Stabilität, Prosperität, Wachstum und Entwicklung», heisst es im Abschlussdokument von Deauville. Deswegen erneuert die G-8 ihr «Bekenntnis, demokratische Reform überall auf der Welt zu unterstützen». Damit aber tut sich ein Graben auf, der mitten durch die G-20 verläuft: Demokratische Reform ist genau das, was die Herrscher von Saudiarabien und China fürchten wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser.

Dass sich bei den G-20-Gipfeln Demokraten und Autokraten treffen, hat weitreichende Konsequenzen für die Agenda. Angesichts des «arabischen Frühlings» werden Autokraten in Riad und Peking sehr nervös und vervielfachen ihre Bemühungen, die Fundamente ihrer Herrschaft zu sichern, mit allen verfügbaren Mitteln. Damit vertieft sich in der G-20 der Graben zwischen demokratisch legitimierten Regierungen und autokratischen Regimen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die G-20 in den aktuellen Fragen der internationalen Politik auf eine gemeinsame Linie einigt, ist geringer geworden, seitdem die Unruhen in der arabischen Welt die Frage der politischen Legitimität wieder auf die Agenda gesetzt haben und damit die Regierungen zwingen, sich neu zu positionieren. Eine tief gespaltene G-20 aber macht die G-8 wieder attraktiv als Instrument internationaler Kooperation – zumindest aus europäischer und amerikanischer Sicht.


Dr. Ulrich Speck is a political analyst and a former DAAD/AGI Fellow.

This essay originally appeared in the June 14, 2011, Neue Zürcher Zeitung, and in the June 17, 2011, AGI Advisor with the author’s permission.

The views expressed are those of the author(s) alone. They do not necessarily reflect the views of the American-German Institute.